Italien

Die historischen Landschaften des deutschen Siedlungsraumes und der deutschen Volksgruppe im heutigen Italien.

Süd-Tirol

Als Süd-Tirol gilt heute der Teil des historischen Kronlandes Tirol zwischen dem Brenner im Norden und Salurn im Süden, dem Reschen im Westen und Winnebach im Osten mit den Städten Bozen, Meran und Brixen.
Als Süd-Tiroler bezeichnen sich die bodenständigen Deutschen und Ladiner im Gegensatz zu den erst seit 1918 zugewanderten Italienern.

sch_tirol-2
Schloss Tirol bei Meran

Die Ladiner, Nachkommen der romanisierten rätischen und norischen Urbevölkerung, fühlen sich seit jeher mit ihren deutschen Landsleuten eng verbunden und gelten teilweise als eigensprachliche Kulturdeutsche.
Von den heute 496.000 Einwohnern Süd-Tirols bekennen sich 69,1 Prozent zur deutschen Volksgruppe, 26,6 Prozent zur italienischen und 4,4 Prozent zur ladinischen Sprachgruppe.
Die deutsche Besiedlung und Urbarmachung des Landes setzte spätestens um 590 ein, als die Bajuwaren in den südlichen Alpenraum einzogen und das Land im bajuwarisch-langobardischen Spannungsfeld zu einem frühen Zentrum deutschen Kulturlebens machten.

Nach dem Waffenstillstand vom 4. November 1918 wurde Deutschtirol von italienischen Truppen besetzt und im Friedensvertrag von Saint Germain am 5. September 1919 geteilt. Das deutsche und ladinische Süd-Tirol wurde gegen den erklärten Willen der Bevölkerung Italien zugeschlagen. Während die Süd-Tiroler nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Rückkehr zu Österreich hofften und die Selbstbestimmung forderten, schlugen die alliierten Außenminister Südtirol am 1. Mai 1946 erneut Italien zu.
Nach einem langen und harten politischen Ringen verfügt Süd-Tirol dank seiner völkerrechtlich anerkannten Schutzmacht Österreich seit 1972 über eine Autonomie, die im Lauf der Jahre ausgebaut werden konnte. Deutsch ist anerkannte und gleichberechtigte Landessprache. Das Land verfügt über ein vollständig ausgebautes deutsches Schulwesen, einen eigenen Landtag mit beachtlichen Gesetzgebungsbefugnissen und eine Landesregierung. Süd-Tiroler Abgeordnete vertreten das Land im italienischen Parlament in Rom und im Europäischen Parlament in Strassburg. Unter allen deutschen Volksgruppen und Minderheiten sind die Rechte der Süd-Tiroler gemeinsam mit den Deutschbelgiern am besten geschützt. Neben dem Einsatz für die Erringung und den Ausbau einer Autonomie bestehen ungebrochen Bestrebungen, das Selbstbestimmungsrecht auszuüben und die Wiedervereinigung Tirols und die Rückkehr zu Österreich zu erreichen.

Ganz anders sieht die Lage in den anderen, zu Italien gehörenden deutschen Sprachgebieten aus, für die nur ein sehr eingeschränkter oder überhaupt kein Minderheitenschutz gilt.

Kanaltal

Das Kanaltal mit dem Hauptort Tarvis (heute Teil der Provinz Udine in der autonomen Region Friaul) war bis 1919 ein Teil Kärntens. Das rund 25 km lange, zwischen Karnischen und Julischen Alpen gelegene Tal ist über den Übergang von Goggau/Unterthörl mit Kärnten verbunden und daher Teil des geschlossenen deutschen Sprach- und Kulturraums. Über die deutsche Gemeinde Weißenfels (die bis 1918 zum Herzogtum Krain gehörte) und Raibl gelangt man vom Kanaltal aus nach Slowenien.
1007 war das Gebiet von Kaiser Heinrich II. dem Fürstbistum Bamberg übergeben worden, das tatkräftig den Landesausbau förderte.

Tarvis im Kanaltal
Tarvis im Kanaltal

Im Friedensdiktat von Saint Germain wurde das Kanaltal und die Gemeinde Weißenfels Italien zugesprochen, obwohl 79,1 Prozent der Bevölkerung Deutsche, 20,8 Prozent Kärntner Slowenen waren und nur 0,1 Prozent (oder zehn Personen) Italienisch als Umgangssprache angegeben hatten.
Im Zuge des 1939 zwischen Mussolini und Hitler vereinbarten Umsiedlungsabkommens, das die Bevölkerung vor eine unlösbare Entscheidung zwischen Heimat und Volkstum stellte, wurden fast 70 Prozent der deutschen und slowenischen Kanaltaler umgesiedelt, großteils nach Kärnten. Die entstandene Lücke wurde durch eine von Italien geförderte italienische Einwanderungswelle geschlossen. Nach dem Krieg befand sich die deutsche Gemeinschaft in einer prekären Lage und hatte mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten zu kämpfen, allen voran mit der Verständnislosigkeit italienischer Behörden und der zugewanderten italienischen Bevölkerung.
Die einst zehn Gemeinden gliedern sich heute in die drei Gemeinden Tarvis (mit Greuth, Kaltwasser, Raibl, Weißenfels, Saifnitz und Goggau), Malborgeth mit Wolfsbach, Uggowitz, St. Kathrein und Bad Lusnitz) und schließlich Pontafel (mit Leopoldskirchen).
Das Kanaltal zählt 7862 Einwohner (2001), von denen noch rund 20 Prozent der bodenständigen deutschen Bevölkerung angehören. Das Gebiet gilt heute offiziell als viersprachig. Zu Deutsch und Slowenisch sind durch die Angliederung an Italien und die Umsiedlungs- und Einwanderungswellen Italienisch und Friaulisch (eine alpenromanische Sprache wie Ladinisch und Rätoromanisch) getreten.
Seit 1979 werden an den Volksschulen des Tales ein bis drei Deutschstunden als Zusatzstunden, aber als Teil des offiziellen Vormittagsunterrichts angeboten. Seit 1996 wird Deutsch als Zweitsprache im Kindergarten gelehrt.
Seit 1979 besteht der Kanaltaler Kulturverein als Vertretung der deutschen Volksgruppe.
Die deutschen Kanaltaler wurden mit dem Staatsgesetz Nr. 482 von 1999 zum Schutz der Sprachminderheiten offiziell anerkannt und werden mit den anderen deutschen Sprachinseln Friauls als „deutschsprachige Gemeinschaft“ bezeichnet.


Deutsche Sprachinseln

Außerhalb Süd-Tirols und des Kanaltals gab und gibt am Südalpenhang eine ganze Reihe von deutschen Sprachinseln, in denen es teils noch ein lebendiges deutsches Kulturleben gibt, teils die deutsche Sprache erloschen ist und nur mehr ein vages deutsches Bewusstsein vorhanden ist.
Dazu gehören die Sprachinseln Tischlwang, Zahre und Bladen, das Fersental und Lusern, die Sieben und Dreizehn Gemeinden und schließlich noch die Walsersiedlungen in Piemont und dem Aostatal. Letztere gehörten nie zu Österreich.

Tischlwang
Tischlwang mit heute 482 Einwohnern liegt am obersten Ende der Valle del But in Karnien (Provinz Udine, Region Friaul) am Fuß des Plöckenpasses unterhalb des Gamsspitz. Da Tischlwang über die Karnischen Alpen mit Kärnten verbunden ist, handelt es sich um ein Sprachhalbinsel. Die dort gesprochene deutsche Mundart verweist auf eine Gründung um das Jahr 1000.

tischlwang
Tischlwang am Plöckenpass

Die Überlieferung nennt Kärnten als Herkunftsland der ersten Siedler, die aus dem Gailtal und vom Weißensee gekommen seien. Tischlwang gehört heute zur mehrheitlich friaulischsprechenden Gemeinde Paluzza. Seit den 1950er Jahren begann das Friaulische und das Italienische das Deutsche als Hauptverkehrssprache in Tischlwang schrittweise zu verdrängen. Eine ethnische Überlagerung fand jedoch kaum statt. Für 2003 wurde angenommen, dass 87 Prozent der erwachsenen Tischlwanger über deutsche Sprachkenntnisse verfügen, 70 Prozent über eine vollkommene Sprachbeherrschung. Bei den Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren verfügen 75 Prozent über Deutschkenntnisse, allerdings nur mehr 49 Prozent über eine vollkommene Sprachbeherrschung, während 25 Prozent über keine Deutschkenntnisse verfügen.

Für das Kulturleben bedeutsam ist die Trachtengruppe „Is guldana Pearl“, der Chor „Teresina Unfer“ und der Kulturverein „Georg Unfer“. Seit 1984 wird die Kulturzeitschrift „Asou geats…“ mit dem nicht einer gewissen Selbstironie entbehrenden Untertitel „… unt cka Teivl varsteats“ herausgegeben. Im Internet berichtet die Seite www.taicinvriaul.org (Deutsch in Friaul) über die deutschen Sprachinseln.

Bladen
Die deutsche Sprachhalbinsel Bladen mit 1328 Einwohnern (2006) liegt am Südabhang der Karnischen Alpen am Fuß des Hochweißstein auf rund 1200 m und gehört zur Provinz Belluno in der Region Venetien. Die aus zahlreichen Weilern bestehende Gemeinde dürfte ihren Namen vom dort entspringenden Fluss Piave (deutsch Pleif) erhalten haben.

Bladen - Deutsche Siedlung an der Quelle des Piave
Bladen – deutsche Siedlung an der Quelle des Piave

Im Mittelalter gehörte das Gebiet mit der Grafschaft Cadore zum freisingischen Hochstift Innichen (Südtirol). Von dort aus erfolgte bald nach 1000 die deutsche Besiedelung und Urbarmachung, vor allem aus Villgraten, einem Seitental des Pustertals. Ende des 11. Jahrhunderts konnte der Patriarch von Aquileja gegenüber dem Hochstift Freising die Landesherrschaft durchsetzen. Bladen wurde 1420 mit geistlichen Reichsfürstentum durch die Seerepublik Venedig erobert. Mit dem Vertrag von Campoformido kam es 1796 an Österreich und 1866 nach der Schlacht von Königgrätz zu Italien. Die italienische Verwaltung führte den italienischen Ortsnamen Sappada ein. Über die Jöcher der Karnischen Alpen ist das Gebiet direkt mit dem Kärntner Lesachtal verbunden. Seit 1804 wallfahren die Bladener zur Gottesmutter nach Maria Luggau. Der weitaus größte Teil des bis zur verkehrstechnischen Erschließung abgelegenen Hochtales verwendet noch heute im Alltag selbstverständlich die deutsche Sprache, die unschwer die Verwandtschaft mit der Mundart des nahen Tiroler Pustertals erkennen lässt. Politisch gehörte Bladen zu Friaul, wie heute auch noch kirchlich, und wurde erst zur napoleonischen Zeit Venetien zugeschlagen. Neuerdings gibt es Bestrebungen wieder Friaul angeschlossen zu werden, um in den Genuss der dort herrschenden Autonomie und der Schutzbestimmungen für die deutschsprachigen Gemeinschaften zu gelangen.

Zahre
In direktem Zusammenhang mit Bladen steht auch die weiter südlich gelegene Sprachinsel Zahre, die davon nur durch die Val Pesarina getrennt ist. Die Abgeschiedenheit des Hochgebirgstales, das früher nur schwer zugänglich war, hat den Erhalt der deutschen Gemeinschaft gesichert. Die historische Entwicklung war dieselbe von Tischlwang. Das Gebiet gehört zur Provinz Udine in der Region Friaul. In Herkunft der Bewohner und Sprache ist die Zahre jedoch mit Bladen zu vergleichen. Beide Sprachinseln sind als erste Ansätze einer deutschen Landnahme in der Grafschaft Cadore zu verstehen, die um das Jahr 1000 dem Hochstift Freising verliehen worden war. Freising war auch im Tiroler Pustertal um Innichen begütert, und eben von dort kamen auch die Siedler, die das Land urbar machten. Die Landnahme konnte allerdings nicht weiter fortgesetzt werden, da sich Ende des 11. Jhdts. das geistliche Fürstentum die Landesherrschaft über das Cadore sichern konnte. Eine andere Hypothese sieht in den Grafen von Görz-Tirol die treibende Kraft und datiert die Gründungen in das 13. Jhdt.

Zahre - eine Pustertaler Siedlung
Zahre – eine Pustertaler Gründung

Die Sprachinsel besteht aus den beiden Ortschaften Oberzahre und Unterzahre und zählt heute 419 Einwohner (2006). Wie auch in den anderen deutschen Siedlungen im Gebiet der ehem. Seerepublik Venedig brachte die österreichische Verwaltung von 1796-1805 und 1815-1866 kein besonderes Augenmerk durch den Staat und somit auch keine Verbesserungen. Durch viel Einsatz der Bevölkerung wurden die Ortschaften mustergültig hergerichtet. Vor allem der Chor „Zahre“ und der Kulturkreis „Fulgenzio Schneider“ geben wertvolle Impulse für das Kulturleben der kleinen deutschen Gemeinschaft. Mangels amtlicher Spracherhebungen wurden 2000 im Rahmen einer Doktorarbeit die Sprachkenntnisse der Zahrer erhoben. Demnach verstehen und sprechen 70 Prozent der Zahrer noch ihre deutsche Muttersprache. Weitere 13 Prozent verfügen über passive Sprachkenntnisse. Bei den vor 1930 Geborenen liegt der Anteil Sprachkundigen bei 100 Prozent. Je jünger die Bewohner sind, desto mehr nehmen die aktiven Sprachkenntnisse ab, bei gleichzeitiger Zunahme italienischen Ausdrücke und vor allem des italienischen Satzbaus. Seit altersher verfügt der Ortspfarrer über Deutschkenntnisse für die Seelsorge. Als Kirchensprache konnte die deutsche Mundart (aber auch als Hochsprache) überleben. Seit 1990 wird auf Betreiben eines Lehrers das Zahrer Deutsch als Freifach an der Volksschule unterrichtet. Derzeit erfolgt die deutsche Sprachpflege im Kindergarten und in der Volksschule. Darüber hinaus gibt es keine Kontinuität. Wie in allen Sprachinseln macht sich der Mangel eines regulären Deutschunterrichts und überhaupt einer deutschen Schule bemerkbar. Das Deutsche ist auf den Status einer Mundart reduziert und hat damit nur im häuslichen und dörflichen Gebrauch einen Wert. Darüber hinaus müssen sich die Bewohner des Italienischen als Hochsprache bedienen, mit allen weitreichenden Folgen.

Auf dem Gebiet des ehemaligen Welschtirol gibt es heute noch zwei lebendige deutsche Sprachinseln: das Fersental und Lusern. Sie sind der Rest eines bis weit in das 19. Jhdt. hineinreichenden, ausgedehnten deutschen Sprachgebiets, das von Salurn südwärts bis vor die Tore von Trient reichte und vor allem den gesamten Voralpenraum zwischen Etsch, Brenta und der italienischen Ebene umfasste.

Fersental
Im hinteren Fersental oberhalb der Stadt Persen (ital. Pergine) bis hinauf zum Hardömlsee (ital. Lago di Erdemolo) liegen die drei deutschen Gemeinden Palai, Florutz und Gereut mit zusammen 988 Einwohnern (2001). Die Urbarmachung und dauerhafte Besiedelung des oberen Fersentals geht auf das frühe 13. Jhdt. zurück. Die deutschen Siedler kamen zumeist aus den damals bestehenden, angrenzenden deutschen Siedlungsgebieten des Fürstbistums Trient und der Grafschaft Tirol.

Florutz im Fersental
Florutz im Fersental

Ab etwa 1400 entstanden Bergwerke im Tal, die das Ziel zahlreicher deutscher Bergknappen v.a. aus anderen Bergbaugebieten Tirols wurden. Im späten 19. Jhdt. begannen sich deutsche Schutzvereine der Sprachinseln anzunehmen und ihnen deutschen Schulunterricht zu sichern. Mit der Angliederung an Italien musste das Deutschtum Welsch-Tirols, das in den zwei Jahrhunderten zuvor bereits weitgehend dezimiert und ausgelöscht worden war, in seiner italienischen Umgebung „unsichtbar“ werden. 1939 wurden die deutschen Gemeinden des Trentino in das Umsiedlungsabkommen von Mussolini und Hitler einbezogen. Viele Fersentaler Familien wurden ausgesiedelt. Nach ihrem Lagerdasein kamen sie in das Protektorat Böhmen-Mähren, aus dem sie gemeinsam mit den Sudetendeutschen nach Kriegsende ein weiteres Mal vertrieben wurden. Unter großen Mühen gelang es zumindest einem Teil in das Fersental zurückzukehren, da die Italiener kein Interesse zeigten, das unwirtliche Hochtal zu besiedeln. So konnte die deutsche Gemeinschaft überleben und erneut auch ein eigenes Kulturleben entfalten.
Unter dem Assimilierungsdruck des italienischen Nationalismus und den Veränderungen in der Wirtschaft und mit den Massenmedien setzte ein Schwund der deutschen Sprache ein. Besonders nach 1950 begannen immer mehr Familien die deutsche Muttersprache zugunsten der italienischen Nachbarsprache abzulegen. Besonders betroffen sind davon die Orte Gereut und Florutz. In Eichleit und Palai hingegen wird die deutsche Mundart noch von fast der gesamten Bevölkerung gebraucht. Die späten 1980er Jahre brachten eine Wende in der Wahrnehmung der deutschen und ladinischen Minderheit des Trentino durch die Lokalpolitik. 1987 wurde ein deutsches Kulturinstitut für das Fersental und Lusern gegründet. Heute spielt die deutsche Sprache eine gewisse Rolle im Kindergarten des Tales. Es ist ihr aber noch kaum gelungen in die Volksschule oder gar Mittelschule einzudringen. Ohne regulären Deutschunterricht oder noch besser eine deutsche Schule, in der Unterricht durch Muttersprachenlehrer erteilt wird, kann eine Sprachgruppe kaum überleben. Auf diesem Gebiet hat sich bisher noch keine nennenswerte Zusammenarbeit mit dem nahen Südtirol ergeben, das über eine funktionierende Lehrerausbildung und ein durchgegliedertes deutsches Schulwesen verfügt.

Lusern
Die deutsche Sprachinsel Lusern liegt auf einer großen Hochebene über dem Astachtal (ital. Val d’Astico) an der alten Tiroler Landesgrenze zu Venetien. Ethnisch war die Gemeinde bis zum Beginn des 20. Jhdts. in eine ausgedehnte deutsche Sprachinsel eingebettet, zu der in Welschtirol (heute Trentino) die angrenzenden Gebiete von Vielgereut (ital. Folgaria) und Lafraun (ital. Lavarone) ebenso gehörten wie jenseits der österreichisch-italienischen Grenze vor 1919 die Hochfläche der Sieben Gemeinden in Venetien.

Lusern
Lusern an Alttirols Grenze zu Venedig

Die Sprachinsel besteht heute nur mehr aus den beiden Ortschaften Lusern (auf 1333 m) und Tezze (auf 1288 m). Lusern zählt wie das Fersental zu den am spätesten entstandenen Siedlungsorten Tirols, als die entlegendsten Gebiete vor der großen Pest von 1348 erschlossen wurden. Die ersten Familien, die aus den bereits in den Jahrhunderten zuvor angelegten Deutschtiroler Siedlungen der Umgebung stammten, gründeten im frühen 14. Jhdt. ihre Höfe. Der Ortsname Lusern leitet sich wahrscheinlich vom Passnamen Laas ab (vgl. die Ortsnamen Laas im Tiroler Vinschgau und im Kärntner Lesachtal), über den die Valsugana erreicht werden kann. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. begann man sich im deutschen Sprachraum in größerem Umfang dieser entlegenen, meist vergessenen deutschen Sprachinseln anzunehmen. 1873 stellte der Wiener Baron von Biegeleben dem Unterrichtsministerium in Wien eine gewaltige Summe zur Verfügung, damit in den Tiroler Sprachinseln, darunter auch Lusern, deutsche Schulen errichtet werden konnten. Der Deutsche Schulverein förderte später dieser Schule und gründete auch einen deutschen Kindergarten. Das neuerwachte deutsche Volkstum Luserns schenkte Tirol den bedeutenden Volkstumspolitiker Prof. Eduard Reut-Nicolussi.
Im Ersten Weltkrieg musste der grenznahe Ort 1915 evakuiert werden. Während die Luserner das schwere Lagerleben ertragen mussten, wurde ihre Heimat durch den italienischen Beschuss zerstört. Trotzdem begannen die Luserner ab 1919 mit dem zügigen Wiederaufbau ihrer Häuser, die nun in Italien lagen. Auch Lusern wurde 1939 in die unsägliche „Option“ miteinbezogen. Faschistische Boykottmaßnahmen und der Kriegsverlauf führten dazu, dass nur ein Viertel der Bevölkerung umgesiedelt wurde und das Schicksal der Fersentaler Optanten erlitten. Ein guter Teil von ihnen kehrte nach Kriegsende auf die Hochebene zurück. Der Aderlass war für die kleine Gemeinschaft dennoch beachtlich. Erst 1967 wurden die Entschädigungsleistungen für die Option vollständig beglichen.
2001 konnten die Luserner erstmals bei der amtlichen Volkszählung auch eine Sprachgruppenerklärung abgeben. 84,2 Prozent der Luserner beherrschen und gebrauchen die deutsche Sprache im Alltag. (87,2 Prozent verstehen sie. Auch bei den Kindern und Jugendlichen liegt die aktive Sprachbeherrschung bei über 80 Prozent. 1992 im Zuge Streitbeilegungserklärung bezüglich der Südtiroler Autonomie zwischen Österreich und Italien vor den Vereinten Nationen forderten die deutschen Gemeinden des Trentino denselben Schutz durch das Gruber-De Gasperi Abkommen von 1946. Eine Forderung, die sich der Österreichische Nationalrat zu eigen gemacht hat. Seit 1987 wird im Kindergarten die deutsche Sprache und Kultur gepflegt, seit 1997 auch an der Volksschule. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein italienisches Schulwesen handelt, in das lediglich einige Stunden Deutschunterricht integriert sind.

Auf dem Gebiet der einstigen Seerepublik Venedig, das weitgehend der heutigen Region Venetien entspricht, bestanden bis ins 20. Jhdt. nicht nur ein ausgedehntes deutsches Siedlungsgebiet zwischen Etsch und Brenta, sondern zwei deutsche Ortsbünde, die man als eine Art Bauernrepubliken mit teils weitgehender Selbstverwaltung bezeichnen konnte.

Dreizehn Gemeinden
Der erste dieser zwei Bünde sind die Dreizehn Gemeinden. Diese liegen auf der Hochebene der Voralpen nördlich von Verona zwischen dem Etschtal im Westen, den Lessinischen Bergen im Norden und dem Chiampotal im Osten, während sie im Süden von der italienischen Ebene begrenzt wurden. Spätestens im 13. Jhdt. hat die deutsche Rodungs- und Siedlungstätigkeit begonnen, während phantasievolle Behauptungen von einer germanischen, vordeutschen Abstammung berichten. Vor allem die von italienischen Renaissancegelehrten aufgebrachte Bezeichnung für die Deutschen in den venetianischen Voralpen als Zimbern, ist nicht korrekt, wenngleich sie heute von den Betroffenen gerne als Selbstbezeichnung verwendet wird.

Gliesen (mdtl. Ljetzan) in den Dreizehn Gemeinden
Glietzen (ma. Ljetzan) in den Dreizehn Gemeinden

Die deutschen Ortsnamen der dreizehn Gemeinden sind teils lediglich in der mundartlich gesprochenen Form erhalten geblieben:
Feld (ital. Velo Veronese, ma. Vellje), Rofreit (ital. Roverè Veronese, ma. Rovereid), Wiesen (ital. Erbezzo, ma. gen Wiesen), Brunge (ital. Selva di Progno), mit dem Dorf Glietzen (ital. Giazza, ma. Ljetzan), Neuenkirchen (ital. Bosco Chiesanuova, ma. Nuagankirchen), Kalfein (ital. Badia Calavena, ma. Kalfàain), Tschirr (ital. Cerro Veronese, ma. Tschirre), St. Moritz (ital. San Mauro di Saline), Asarin (ital. Azzarino), Bòrtolom (ital. San Bortolo, früher San Bartolomeo tedesco, Porrental (ital. Val di Porro), Tavernole, Kampsilvan (ital. Camposilvano).
Das heute in acht Gemeinden zusammengefasste Gebiet zählt rund 12.000 Einwohner. Von den Italienern wurde die Gegend der Deutschen einfach Deutschberg (Montagna dei Todeschi) genannt. Die Deutschen nannten Verona, die Stadt, deren gebirgiges Hinterland sie bewohnten, Bern (ma. Berne), wie wir es aus den deutschen Heldensagen von Dietrich von Bern kennen. Ein untrügliches Indiz intensiven deutschen Kulturlebens und Selbstbewusstseins sind die deutschen Seelsorger, die in allen Ortschaften tätig waren. Nach der Reformation beginnt jedoch in der zweiten Hälfte des 16. Jhdts. der deutsche Sprachverfall. Die Obrigkeit betrachtete es als geeignetes Mittel, das Eindringen protestantischer Lehren dadurch zu verhindern, indem sie die Deutschen ihrer Muttersprache zu entfremden versuchte. So verlor die erste Gemeinde bereits 1578 ihren deutschen Seelsorger. 1632 folgte die zweite. Um 1750 war die deutsche Sprache bereits in drei Gemeinden erloschen. Als das von Napoleon abhängige Königreich Italien um 1810 Spracherhebungen durchführen ließ, wurde nur noch in fünf Gemeinden Deutsch gesprochen. 1880 nur mehr in mehreren Dörfern zweier Gemeinden und schließlich 1910 nur mehr im entlegenen Dorf Glietzen (ital. Giazza, ma. Ljetzan). Nach aktuellen Erhebungen gibt es heute im Gebiet der Dreizehn Gemeinden noch rund 150 Menschen, mit passiver Sprachbeherrschung der mittelhochdeutschen Mundart und etwa 80 mit aktiver (davon 30 in der Ortschaft Glietzen). Allerdings verwenden auch letztere ihr Deutsch nicht mehr als Umgangssprache. Das Curatorium Cimbricum Veronense mit Sitz in Gliesen, das sich seit 1974 für die Bewahrung und den Schutz von Sprache, Kultur und Traditionen der „Tautschan“ in den Bergen ober Verona einsetzt, bietet einen „zimbrischen“ Sprachkurs an. 1972 wurde ein Zimbernmuseum eingerichtet und alljährlich wird das Fest der Zimbern abwechselnd in einer der Gemeinden ausgerichtet. Die vielfältigen kulturellen Aktivitäten tragen zur Aufrechterhaltung eines Sonderbewusstseins der Bevölkerung als „Zimbern“ bzw. „Tautsche“ bei, ohne sich jedoch im modernen Sinn als Deutsche zu fühlen.

Sieben Gemeinden
Die eigentliche Bauernrepublik mit einer ausgeprägten Selbstverwaltung bestand auf der Hochebene von Schlegen (ital. Asiago, ma. Schlege) in den Voralpen nördlich von Wiesenthein (ital. Vicenza).

Schlegen in den Sieben Gemeinden
Schlegen in den Sieben Gemeinden

Die Hypothesen über die Entstehung der Sieben Gemeinden sind vielfältig. Auf einen frühen Beginn weist neben der dichten Überlieferung aus langobardischer Zeit auch das langobardische Gemeinschaftsrecht hin. Auf alle Fälle dürfte die Rodung und Urbarmachung der weitläufigen Hochfläche durch Siedler aus dem bairisch-alemannischen Raum im 10. Jhdt. eingesetzt haben. Die älteste erhaltene Urkunde weist auf Siedlerfamilien aus dem Gebiet des bayerischen Klosters Benediktbeuern hin.
Die sieben sich herausbildenden deutschen Hauptorte schlossen sich im Bund der Sieben Gemeinden zusammen. Von 1310–1807 bildete dieser Bund eine weitgehend eigenständige deutsche Bauernrepublik. Das am 29. Juni 1310 verfasste Statut trug den bezeichnenden Titel: “Dise saint Siben, Alte Komeun, Prudere Liben” (Das sind die sieben alten Gemeinden, liebe Brüder). Die Sieben Gemeinden sind: Schlegen (ital. Asiago, ma. Schlege), Rotz (ital. Rotzo), Rein (ital. Roana, ma. Robàan), Lusàan (ital. Lusiana), Gell (ital. Gallio) Eben (ital. Enego, ma. Ganebe) und Fütze (ital. Foza, ma. Vüsche).
Durch ein Bündnis mit dem in Norditalien mächtigen fränkischen Adelsgeschlecht der Hezilonen (Ezzelinen) konnten eine Reihe von Privilegien gewonnen werden, die auch durch die folgenden Bündnisse bewahrt werden konnten. 1405 unterstellten sich die Sieben Gemeinden schließlich der Republik Venedig, welche die Sonderrechte (darunter das Recht des freien Waffentragens) anerkannte. 1796 kamen die Sieben Gemeinden, deren Siegel sieben blonde, bärtige Männerköpfe zeigte, mit Venetien zu Österreich. 1807 hob Napoleon das Sonderstatut auf und setzte der Eigenständigkeit ein Ende. 1815 kam das Gebiet zwar wieder zu Österreich, doch wurden von der österreichischen Verwaltung keine Bemühungen unternommen, der deutschen Bevölkerung Rechnung zu tragen. Die Verwaltung war einheitlich italienisch. 1866 kam die Hochfläche zu Italien. Der Erste Weltkrieg führte zur Evakuierung der gesamten Bevölkerung, während die Orte durch österreichischen Beschuss weitgehend zerstört wurden. Der folgende italienische Nationalismus führte zum Untergang auch dieser Sprachinsel. Im Werk von Mario Rigoni Stern, dem bekanntesten Sohn der Sieben Gemeinden und dennoch italienischen Schriftsteller, sind eine Vielzahl von deutschen Ausdrücken enthalten, die an seine noch deutsch geprägte Jugend in Schlegen erinnern. Lediglich in den Ortschaften Rein und Mittenwald (ital. Mezzaselva) wird heute noch von einer kleinen Minderheit die alte deutsche Mundart gesprochen. Ansonsten ist die Italienisierung des Gebietes abgeschlossen. In Rein hat auch das Kulturinstitut „Augustin Prunner“ seinen Sitz.

Das Gebiet der Sieben Gemeinden reichte einst in das nähere Umland hinein, im Süden bis hinunter nach Marostica und im Norden bis an die Brenta in der Valsugana. Nicht vergessen sei auch, dass das Voralpengebiet zwischen den Dreizehn und den Sieben Gemeinden und das Land Richtung Süden bis in die Monti Berici südlich von Vicenza (ein Pleonasmus: Monte = ital. Berg, Berici = Verballhornung aus dt. Berg) bis zur beginnenden Neuzeit zum deutschen oder – wie die Italiener sagten – zum zimbrischen Sprachgebiet gehörten.

Walsersiedlungen
Weitere deutsche Sprachinseln gibt es im nordwestlichen Italien an der Grenze zur Schweiz, in der französischsprachigen autonomen Region Austtal (ital. Valle d’Aosta, franz. Vallèe d’Aoste) und der Region Piemont. Dabei handelt es sich um Walsersiedlungen, die im Hochmittelalter vom nahen Wallis aus angelegt worden sind. Die Walser des Austtals gelten nach der frankoprovenzalischen Mehrheitsbevölkerung zwar als „Minderheit zweiter Rangordnung“, genießen aber durch die Autonomie einen gewissen Schutz. Schlechter ergeht es den Walsern im nahegelegenen Piemont.

Greschoney am Fuß des Monte Rosa
Greschoney am Fuß des Monte Rosa

Im 12. Jhdt. zogen die Walser über den Bergrücken des Monte Rosa Richtung Süden und besiedelten die Gebirgstäler am Südhang des Massivs. Im Austtal machten sie das Lystal und das Ayastal urbar. In diesen Tälern befinden sich heute noch die Walsergemeinden Eischeme (franz. Issime) im mittleren und die beiden Gemeinden Greschoney (franz. Gressoney) im hinteren Lystal am Fuß des Monte Rosa gelegen. Die drei Gemeinden haben zusammen 1507 Einwohner (2006). Bis zur Einigung Italiens 1859 gab es in den Walsergemeinden deutsche Schulen. Anschließend wurden sie zu utraquistischen deutsch-italienischen Schulen. Nach der faschistischen Machtübernahme 1922 wurde das Deutsche aus der Schule verbannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in den Volksschulen der Französischunterricht eingeführt. Deutsch wurde zum Wahlfach. Die Walser werden im Autonomiestatut des Austtals von 1948 als „deutschsprachige Bevölkerung“ genannt.
Parallel erfolgte ab dem 12. Jhdt. auch die Einwanderung in die heute zur Region Piemont gehörenden Täler am Südhang des Monte Rosa-Massivs, das direkt an den Oberwallis angrenzt. Etappenweise erschlossen die Walser alle noch unbesiedelten, oft unwirtlichen Talabschlüsse zwischen Pomatt in den Provinzen Verbano-Cusio-Ossola im Norden und Alagna in der Valsesia im Südwesten (Provinz Vercelli).

Remmalju - eine Walsersiedlung in Piemont
Remmalju – eine Walsersiedlung in Piemont

Die letzte noch lebendige Walsersiedlung ist Remmalju (ital. Rimella) mit seinen vielen kleinen Weilern und Einzelhöfen an den Flüssen Landwasser und Enderwasser, und wurde 1255 gegründet. Die Sprachinsel ist von hohen Bergen wie dem Sonnenhorn (ma. Sunnahöüru) mit 2161 m oder dem Altemberg (2390 m) eingeschlossen. 1829 wurden von König Carlo Felice von Sardinien und Piemont die deutschen Namen und die deutsche Sprache verboten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges änderte sich das Leben in der Abgeschiedenheit des Gebirges kaum, und es wurde dennoch allgemein Tittschu gesprochen, also Deutsch. Die Kehrseite der Abgeschiedenheit zeigt sich jedoch in der Landflucht. Zählte die Siedlung 1888 noch mehr als 1000 Einwohner, waren es 1989 nur mehr 215.